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16.09.2017 /
Dom zu Halberstadt
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'wachet recht auff' - ein Oratorium zu Luther / Voklsstimme Magdeburg
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Welturaufführung im Dom
Beifall und Bravorufe für „Wachet recht auff– Ein Oratorium zu Luther“ Ein besonderes musikalisches Erlebnis erwartete am Sonnabend die Konzertgäste im Halberstädter Dom – die Welturaufführung von „Wachet recht auff – Ein Oratorium zu Luther“. Von Renate Petrahn / Halberstadt
Wer am Sonnabendabend in den Halberstädter Dom gekommen war, hatte das Glück bei einer Uraufführung dabei zu sein. Nach „Enigma noctis et astrorum“ (Das Rätsel der Nacht und der Sterne) im Jahr 2009 und „fluctus sonorum“ (fließende Klänge) 2011 schrieb Ralf Hoyer mit „Wachet recht auff“ - ein Oratorium für Luther“ sein drittes Werk für diesen Kirchenraum. Als festliche Einstimmung auf dieses besondere Ereignis begrüßten die Mitglieder des Posaunenchores Halberstadt von den Domtürmen herab die Besucher, die wenig später teilhatten an den im Oratorium widergespiegelten gesellschaftlichen Umbrüchen von vor 500 Jahren. Das Wie der Darstellung des Geschehens in Wort und Musik gehört zu den großen Vorzügen der Dramaturgie des zehnteiligen Werkes: knapp, dennoch präzise. Ausgehend vom Allgemeinen – Struktur der Macht (Staat und Kirche) und Analyse der Befindlichkeiten des mittelalterlichen Menschen an der Grenze zur (Frühen) Neuzeit – wird der Fokus auf das Besondere, auf die Person Luthers, sein Leben und sein Wirken gerichtet. Die Lyrikerin Kerstin Hensel schrieb das Libretto für das Oratorium, bei dem die Worte keineswegs im Schatten der Musik stehen. Bemerkenswert, mit welchem musikalischen Einfühlungsvermögen sie die wohldurchdachten und kenntnisreichen Texte für das 90-minütige Musikstück gestaltete, die Schattenseiten des Reformators nicht aussparend. Interessant die Einführung von Müntzer und Erasmus von Rotterdam in das Oratorium, die als Theologen im Widerspruch zu den Lehren Luthers (Reformation ohne Zugeständnisse an die Obrigkeit, Wahlvermögen des Menschen zwischen Gut und Böse oder Vorbestimmung) standen. Bei aller weltgeschichtlicher Bedeutung Luthers und seiner Würdigung ist Kerstin Hensel – Gott sei Dank – nicht der Humor abhanden gekommen, der immer mal wieder auflitzt, am schönsten im Dialog zwischen Luther und dem Teufel auf der Wartburg.
Atonalität, chaotische Entwicklungen, außergewöhnliche Spielweise der Instrumente und Handhabung des Chorgesangs, manchmal gesprochen oder geflüstert, machen die musikalischen Ausdrucksmittel aus. Wort- und Musikfetzen, abrupt herausgeschleudert, fügen sich nur allmählich zu einem Ganzen zusammen. War der Zuhörer zu Beginn zunächst überrascht, vielleicht auch irritiert, von den Hörerlebnissen, die so ganz anders sind als die gewohnte Dur- Moll-Harmonik, so wurde er zunehmend in den Bann gezogen von dieser neuen Art, Musik zu schreiben und zu interpretieren. Und mehr und mehr erschien es dem Konzertgast so, als seien diese neuen Klänge und Rhythmen ein überaus geeignetes musikalisches Mittel, um die Verunsicherung, die Suche nach Orientierung jener Zeit klanglich abzubilden. Andererseits werden auch andere, eher harmonische Töne angeschlagen, wenn es um die Darstellung von Luthers privatem Leben geht. Da klingt die Gitarre (phänomenal Daniel Göritz) schon mal wie die Laute, die Luther gern und häufig spielte. Und auch sonst wird im Oratorium Bezug auf die Kompositionen des die Musik hochschätzenden Reformators genommen und zwar immer dann, wenn es galt, Stabilität und Vertrauen in die Reformation schaffen, am klarsten symbolisiert durch „Eine feste Burg ist unser Gott“ und weiterer Choräle aus dem evangelischen Kirchengesangbuch (EKG).
Zu den besonderen musikalischen Einfällen mit sinnhaften Hintergrund gehörte auch die Einbeziehung des Publikums als einem weiteren Chor in das Geschehen, beispielsweise mit „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“, Melodie und Text von Martin Luther, EKG 193. Einer Einladung, der die Konzertbesucher gern Folge leisteten. Eine Information mit genauen Angaben, wann die Interaktion mit dem Publikum zum Bestandteil des Oratoriums wird, wurde vor dem Konzert an Interessierte ausgehändigt. Das unglaublich dichte und äußerst anspruchsvolle Werk zeichnet sich durch viele musikalische Raffnessen, sowohl instrumental als auch gesanglich, aus. Neben den sechs Solisten überzeugten Orchester (Brandenburger Symphoniker, Blechbläserensemble des Brandenburger Domes) wie die beiden Chöre (Vocalconsort Berlin und die Kantorei Halberstadt) unter der exzellenten Leitung von Aurélien Bello. Die jungen Gansangssolisten meisterten hochkonzentriert mit Bravour ihren komplexen Part – so oft sieht man Sänger sonst nicht mit einer Stimmgabel im Konzert.
Während Vocalconsort Berlin vor dem Lettner Aufstellung genommen hatte, saßen die Mitglieder der Kantorei (Leitung KMD Claus E. Heinrich) mitten im Publikum als ein Indiz für die verschiedenen Wahrnehmungsebenen des Musikstückes und möglicherweise auch der Reformation insgesamt. „Das ist musikalisch eine ganz andere Ebene, deutlich entfernt vom Standardsingen eines jeden Kirchenchores“, sagte Sebastian Lütgert, Mitglied der Kantorei Halberstadt, nach dem Konzert. Zum Erfolg der Aufführung trug Christian Steyer als einfühlsamer Rezitator ebenso bei wie der bravouröse Tobias Scheetz an der Orgel. Blumen, Beifall über Beifall, Bravorufe standen am Ende dieses in seiner Art einmaligen Abends in Dom St. Stephanus in Halberstadt. Voller Freude und Zufriedenheit, dass alles so wie gedacht und erhofft gelaufen sei, zeigte sich Ralf Hoyer nach dem Konzert. Er sei dankbar für die wunderbare Atmosphäre in der Kirche und zu erleben, wie die Musik die Zuhörer in ihren Bann gezogen habe, sei ein sehr schönes Gefühl, sagte der Komponist.
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