DorfLandschaftsKomposition für sinfonisches Blasorchester (UA)
mit dem Jugend- und Erwachsenen-Blasorchester der Kreismusikschule Potsdam-Mittelmark, Kleinmachnow Leitung : Martin Aust Orgel: Konrad Winkler sowie dem Perkussionisten Gottfried Röszler
Im Rahmen des Festivals 'Mühlenbecker Klanglanschaften 2022' in 16567 Mühlenbeck / Dorfkern
weitere Informationen unter:
https://www.klanglandschaften.eu
https://www.klanglandschaften.eu/veranstaltungen/2257623/2022/06/24
Spätestens seit John Cage ist der Gedanke in der Welt, daß Geräusche des Alltags genau so Musik sein können wie Stimmen oder durch Instrumente erzeugte Töne. Es gilt, die akustische Umgebung wahrzunehmen und die gesamte Hörwelt als Musik zu begreifen – sei sie zufällig geprägt oder in unterschiedlichem Grad künstlerisch geformt. Das Erklingen von Musik in abgeschlossenen Räumen und konzentrierter Atmosphäre unter weitgehender Ausblendung von Störgeräuschen ist damit ein eher Sonderfall.
Ein musikalisches Kunstwerk im Freien ist seiner akustischen Umgebung ausgesetzt. So entsteht eine eigentümliche Spannung, die Kunst hat plötzlich direkt mit dem Leben zu tun. Das heißt in diesem speziellen Fall: die Känge haben sich gegen Geräusche einer stark befahrenen Straße zu behaupten, drohende Baumällungen wegen deren Ausbau werden als elektroakustisches Zuspiel antizipiert...
Aus diesem Geist heraus entstand die Idee zu „klang.wandel.“, einer musikalischen Intervention im Zentrum von Mühlenbeck mit den jugendlichen und erwachsenen Holz- und Blechbläsern der Musikschule Engelbert Humperdinck in Kleinmachnow zu den Mühlenbecker Klanglandschaften 2020.
Die Komposition besteht aus 5 Modulen, die an 5 Orten im Dorfkern von Mühlenbeck erklingen. Der Verkehrslärm der nahe gelegenen Hauptstraße ist die akustische Grundierung, der sich die einzelnen Instrumentalsätze auf verschiedene Weise entgegenstellen. Das Publikum begibt sich zu den verschiedenen Spielpositionen, angeführt und musikalisch begleitet vom Perkussionisten als „Klangträger“.
Modul 1 – Blechblasinstrumente Rondell vor der Feuerwache, unter den Arkaden Aus einem Ton heraus entwickeln sich vielstimmige Akkorde. Diese überformen als Klangblöcke die Geräusche der Straße, dazwischen Pausen. Im Wechselspiel dieser beiden akustischen Ebenen wird die jeweils klingende in die Aufmerksamkeit gehoben. In beiden Ebenen gibt es ständige Veränderungen. So entsprechen dem klanglichen Fortschreiten der Akkorde die unterschiedlichen Geräusche der jeweils vorbeifahrenden Fahrzeuge. Vielleicht spielt ja auch unvorhergesehen das Signalhorn eines großen LKW mit…
Modul 2 – Holzblasinstrumente auf der Wiese vor dem Mahnmal Natur wird oft rücksichtslos durch vermeintliche zivilisatorische Notwendigkeiten verdrängt. Doch gibt es Füchse und Wildschweine in der Großstadt und auch an stark befahrenen Straßen kann man Vögel hören. Hier werden sie von Flöten, Oboen, Klarinetten und Fagotten hervorgelockt und unterstützt. Vielleicht gelingt es dem instrumentalen Tirilieren zumindest für eine gewisse Zeit, die Straße der Wahrnehmung zu entziehen…
Modul 3 – Saxophone im Eck der Kirche links vom Haupteingang Es beginnt mit einem 11-stimmigen Akkord, der aus dem Umgebungsgeräusch hervorscheint, kurz dominiert und dann wieder versinkt. Danach eine einstimmige Melodie. Dann wieder der Akkord, danach die Melodie als zweistimmiger Kanon. Ein weiteres Mal erscheint der Akkord, danach die Melodie als dreistimmiger Kanon. Schließlich erklingt die Melodie in vielfach nacheinander einsetzenden Stimmen. Es ist dies eine Metapher für einen Baum, der sich aus einem Stamm in 2, 3 und mehr Äste verzweigt. Vielleicht mag der eine oder die andere Hörer:in versuchen, die weiteren, in`s Unendiliche reichenden klanglichen Verästelungen zu imaginieren…
Modul 4 – Orgel, Schlagzeug und Zuspiel in der Kirche und rechts daneben auf der Wiese Klangaktion, ohne weitere Worte. Nur hören. Nach außen, nach innen und darüber hinaus…
Modul 5 – Holz- und Blechblasinstrumente, Saxophone auf der Wiese neben dem Kriegerdenkmal Eine aus der Umgebung hervortretende, sich nach und nach verdichtende Klangfläche mündet in ein vielfach changierendes Klangband, das nach einer kurzen Zeit der Entfaltung wieder in die Geräusche der Umgebung zurückfällt. Doch unvermittelt intonieren die Hörner den Ton G. Es ist dies der Anfangston des nun folgenden Kirchenliedes „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ von Paul Gerhard aus dem Jahr 1653, also kurz nach Ende des 30-jährigen Krieges. Neben den unmittelbaren Kriegsgreuel brachte er Hungersnöte, Seuchen und Pest. Etwa 40 % der Bevölkerung kam ums Leben. In manchen Gegenden Deutschlands gar bis zu 70 %. Und dann diese überschwänglich fröhlichen Zeilen. Die heute gebräuchliche Melodie stammt jedoch aus dem frühen 19. Jh. - auch dies war keineswegs eine friedliche Zeit. „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ ist eines der bekanntesten und schönsten Sommerlieder. Es fordert hinauszugehen zur Betrachtung der göttlichen Natur und zur Bewunderung ihrer Schönheit, mit geradezu sich verstömendem Glücksgefühl. Welche Hoffnung, welche Kraft steckt in diesen Worten, die auch uns noch berühren können.
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